Liberal by bye – Management und Werte in der Disbalancierung

von Claus Riehle. Fragt man Menschen nach Werten, taucht der Begriff „liberal“ vielleicht nicht explizit auf, jedoch schwingt „der liberale Gedanke“ in vielen der genannten Werte-Begriffen mit: ob es nun Eigenverantwortung ist, Autonomie, Leistung, Wettbewerb oder einfach Freiheit. Mann oder Frau kann sich die Frage stellen, was Werte sind oder vielleicht besser: wodurch sich Werte ergeben bzw. entwickeln. Auch wenn wir das Gefühl haben, dass der ein oder andere Wert einfach da oder auch nicht da ist, ist es ja nicht so, dass sie vom Himmel fallen oder einfach in einem Unternehmen da sind, weil das Management ein entsprechendes Strategieprojekt angestoßen hat, das zu einer Leitbildentwicklung mit passender Broschüre und passenden Veranstaltungen geführt hat.

Werte sind im Gegensatz zu Zielen, die in der Zukunft liegen, immer gegenwärtig – und genau deshalb sind sie auch gegenwertig. Mit diesem Wortspiel möchte ich darauf hinweisen, dass Werte immer im Zusammenhang mit einem Kontext stehen und auch entstehen. Egal ob das System nun Mensch, Team oder Organisation heißt, die Interkation mit dem Umfeld bestimmt letztlich darüber, was in jeweiligen System als „Wert“ überlebt, nämlich genau das Handlungsmuster, das zu einer Stabilität des Systems führt. Werte sind die Systemantworten auf die Anfragen aus der Umwelt, um die Existenz des jeweiligen Systems und damit seine Grenze aufrecht zu erhalten. Deshalb sind die Interaktion und der Zwischenraum in zweierlei Hinsicht so bedeutsam: sie tragen nämlich nicht nur dazu bei über Stabilität die Identität des Systems zu bilden, sondern sie prägen auch die System(ver)haltungen. Während Verhalten in den Zwischenraum eingespeist wird, ist Haltung von lebenden Systemen das, was konstant bleibt, wenn die Umgebung variiert (deshalb ist Haltung auch im System zu verorten). Was das mit dem Wahlergebnis zu tun hat, fragen Sie? Nun, seit mehr als vier Jahren habe ich den Eindruck, dass die Partei, die für Liberales Denken stand – genauer muss man sagen: ihre Repräsentanten - überwiegend von Verhalten und weniger von Haltung geprägt war. Deshalb wird sie in politischen Kreisen auch als „Funktionspartei“ bezeichnet. Da es im Umfeld einer Bundestagswahl seit geraumer Zeit eine erhebliche Zahl Wechselwählende gibt, entscheiden strategische Überlegungen über die Stimmgabe (siehe die ganze Erst- und Zweitstimmenwerbung). Wer also Wahlerfolg als Parteierfolg missdeutet, kann eben extrem abstürzen. Wenn Repräsentanten eines Subsystems, genannt Partei, sich im Wesentlichen nur noch haltungslos verhalten („umfallen“ könnte ich jetzt auch in diesen Zusammenhang bringen), und wenn dann auch noch liberal überwiegend mit neokapitalistischen Grundsätzen gleichgesetzt oder verwechselt wird, dann wundert sich keiner über das Implodieren dieser Blase mit dem Aufdruck „liberal“.

Offenbar sind ist das Management dieses Systems auf der einen Seite und die Werte, für die dieses System einmal stand, in eine völlige Disbalance geraten. Weil in den entscheidenden Interaktionsraum – bei der Wahl sind das die Bürger, zwischen den Wahlen ist es die umgesetzte Politik - nicht mehr genügend Handlungsmuster eingespeist werden konnten. „Liberal by bye“ könnte also heißen: Das Liberale muss sich wieder neu gebären in dem für das System „Liberale Partei“ der Grundsatz der Erneuerung gilt: „Management by bye“. Das könnte langfristig wieder dazu führen, dass auch Mann in den Chefetagen insbesondere der großem Unternehmen (Frauen sind ja unterrepräsentiert) wegkommt vom „Management by buy“, sondern wieder mehr Wert legt auf das Miteinander, auf den lebendigen Kitt, bei der Erzeugung von betriebswirtschaftlichem Mehr-Wert. Dazu braucht es mehr Haltung, also die Stabilität und Balance auf der Innenseite. Erst auf dieser Basis gelingt dann auch die äußere Balance, nämlich ein Verhalten für einen gesellschaftlich wirksamen und wirklich nachhaltigen Mehrwert. So dass es letztlich um die Balancierung dieser beiden Balancen geht; sie vollzieht sich auf der Systemgrenze, nämlich zwischen innen und außen.

MagazinJacques Chlopczyk